Waffen für die Ukraine?

Bewerten Sie Robert Habecks Forderungen

von Tom El-Safadi

Das Dilemma ist altbekannt: Wie unterstützt man am wirkungsvollsten Partner, die widerrechtlich von außen bedrängt werden? Mit Geld und Diplomatie – oder besser mit Ausbildung, Waffen oder gar Truppen? Im Falle der Nato-Verbündeten stellt sich diese Frage nicht. Da zählt kaum etwas mehr als „unbedingte Solidarität“. Das ist schließlich die DNA der transatlantischen Allianz. Bei anderen Ländern allerdings bietet es sich an, genauer hinzuschauen. Dort gelten andere Regeln. In Deutschland steht etwa der allgemeine Grundsatz der Bundesregierung ziemlich weit oben auf der politischen Agenda, in Spannungs- und Krisengebiete keine Kriegswaffen zu liefern – also etwa in Drittländer, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht. Natürlich wird dieses Prinzip in der politischen Praxis durchaus dehnbar praktiziert. Dennoch kann man zumindest sagen: Es „kommt jeweils darauf an“, was verantwortbar und sinnvoll ist.

Die Ukraine ist ein aktuelles Beispiel, wie schwer Entscheidungen zu gezielter militärischer Hilfe fallen. Auf der einen Seite lässt sich der ukrainische Bedarf nach besserer Eigenverteidigung nicht von der Hand weisen. Immerhin hat der seit 2014 anhaltende Konflikt nicht nur erhebliche territoriale Folgen, sondern auch bereits mehrere Tausend Tote gekostet. Die Krim ist de facto – und völkerrechtswidrig – abgespalten, und für die Ost-Ukraine gilt nahezu derselbe Befund. Die Strategie Russlands, mit unverhohlener Einschüchterung und notfalls auch mit offener oder verdeckter Gewaltanwendung die Entwicklungen in seinem näheren Umfeld zu steuern und insbesondere die souveränen Entscheidungen der Ukraine zu unterminieren, lässt sich kaum leugnen. Und niemand weiß, wohin das führt und wie weit Präsident Putin noch zu gehen bereit ist. Das Spektrum der Spekulationen reicht von einem Kordon abhängiger und höriger Nachbarstaaten bis hin zu einer Renaissance sowjetischen Machtanspruchs. Da gibt es an der Ratio einer auch durchgreifenden Unterstützung für die so bedrängte Ukraine kaum ernsthafte Zweifel.

Andererseits stellt sich zugleich die Frage nach dem potenziellen Ergebnis solcher Maßnahmen. Konkret: Fördern Waffenlieferungen die Abschreckung und wirken damit stabilisierend? Oder schüren sie möglicherweise den Konflikt weiter an oder dienen der russischen Seite gar als Vorwand für bewusst herbeigeführte Eskalationen? Denn machen wir uns nichts vor: Geostrategisch ist die Ukraine mit konventionellen Mitteln kaum zu verteidigen. Alle operativen Vorteile lägen im Falle eines breitangelegten offenen Gewaltausbruchs auf russischer Seite. Die Großmanöver in diesem Jahr haben das überdeutlich vor Augen geführt – was vermutlich seitens Moskaus auch so bezweckt war.

Und hier spitzt sich das Dilemma eben zu. Wie schafft man es, einerseits die Ukraine als souveränes Mitglied der Völkergemeinschaft angemessen zu schützen, ohne andererseits zugleich weiteres Öl ins Feuer zu gießen? Wie weit also sollten militärische Hilfe und etwaige Rüstungslieferungen gehen? Welche Art von Waffen bietet sich gegebenenfalls an – wobei klar sein sollte, wie wenig stringent zwischen offensiven oder defensiven Zwecken von Wehrmaterial unterschieden werden kann. Greift also die Logik zwischen sichtbarer Abschreckung und erfolgversprechender Verteidigung in diesem speziellen Fall? Oder anders ausgedrückt: Wann darf oder muss man von Prinzipien abweichen – ohne sie zugleich ad absurdum zu führen?

Wenn mitten im Wahljahr sich eine Partei, die alles andere als chancenlos und zugleich nicht zwingend als unerbittlicher Gegenpol zu eher pazifistischen Strömungen bekannt ist, konkret und durchaus strittig mit diesem Thema befasst, dann darf man das als Signal eines echten Dilemmas interpretieren. Gut also, dass die Dinge offen auf den Tisch kommen und kontrovers diskutiert werden. Und vergessen wir dabei nicht: Das deutsche militärische Engagement im Kosovo und in Afghanistan wurde zu einer Zeit entschieden, als Joschka Fischer Außenminister war. So tickt undogmatische Realpolitik nun mal.

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4 Kommentare

  1. Klaus Wittmann

    Waffen können deeskalierend wirken

    Berthold Kohlers Leitartikel „Mehr Hohn als Hilfe“ (F.A.Z. vom 28. Mai) verdient volle Zustimmung. Zu Robert Habecks Eintreten für die Ukraine sei Folgendes angemerkt:
    Natürlich gibt es nicht rein „defensive“ und rein „offensive“ Waffen. Aber: In den achtziger Jahren war ich Kommandeur eines Bataillons mit leichten Raketenwerfern, Hauptmunition Panzerabwehrminen. Es war bei Übungen nie ganz einfach, das System zur Unterstützung von Angriffsoperationen anzubieten (etwa im Flankenschutz). Aber dass man – auch ganz kurzfristig – eine Panzersperre von zwei Kilometer Breite legen konnte, ohne wie die Pioniere hinfahren zu müssen, war für die Verteidigung gut. Also habe ich auch in Diskussionen mit Vertretern der Friedensbewegung gern erklärt, mein System sei doch „relativ defensiv“ und würde in der Regel nur denen schaden, die unerlaubt ins Land kommen.
    Da sich der Donbass-Krieg (bei dem Russland immer noch seine direkte Beteiligung leugnet) auf ukrainischem Territorium abspielt, gibt es Waffen, die im Sinne des Obengesagten „relativ defensiv“ sind. Dazu gehören (möglichst wenig mobile) Panzerabwehrwaffen und Anti-Artillerie-Schallmesssysteme. Mittel gegen Kampfdrohnen wären auch „relativ defensiv“. In diesem Sinne können Waffen auch deeskalierend wirken. Jedenfalls ist das manchmal zu hörende Argument „Dort gibt es schon mehr Waffen als genug“ zynisch und beleidigend für die ukrainischen Verteidiger.
    Ich behaupte, dass Putins Bereitschaft, sich 2015 in Minsk an den Verhandlungstisch zu begeben – obwohl die Russen und die „Separatisten“ so stark im Vorteil waren, dass Merkel, Hollande und Poroschenko sich zu für die Ukraine so ungünstigen Bedingungen im Minsker Abkommen bereit erklärten –, damit zu tun hatte, dass in den USA eine Diskussion über Waffenlieferungen an die Ukraine ausgebrochen war.
    Der kategorische Ausschluss jeglicher Waffenlieferungen an die Ukraine kann Putin und seine Donbass-Gesellen nur freuen und in größerer Sicherheit wiegen.
    Eine Korrektur zu Habecks Feststellungen hinsichtlich der NATO-Mitgliedschaft: Die NATO ist nicht „unsortiert“, sondern hatte schon in der „Erweiterungsstudie“ von 1995 festgelegt, dass sie keine Einladung zum Beitritt an Staaten mit „external territorial disputes“ ausspricht. Das ist ja – leider – Moskaus „Hebel“. Deshalb ist die Mahnung zur Geduld berechtigt. Aber unterhalb der Mitgliedschaft und ihrer Vorbereitung kann sehr viel getan werden, auch im Rahmen der NATO-Ukraine-Kommission, die seit 1997 besteht, und der NATO-„Partnerschaft für den Frieden“. Ungeachtet deutscher Restriktionen im Rüstungsexport finde ich das Eintreten vieler Politiker der Grünen – auch Nachtwei, Nouripour, Fücks, Frau Beck, Frau Harms – für Freiheit und Würde bedrängter Gesellschaften hochanständig und nachahmenswert.

    Dr. Klaus Wittmann, Brigadegeneral a.D., Berlin

    (Dieser Kommentar wurde am 31.05.2022 unter https://www.faz.net/aktuell/politik/briefe-an-die-herausgeber/leserbriefe-vom-31-mai-2021-17365261.html verfasst.)

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  2. Dasdin Duman

    Welche Mittel hat die Bundesregierung zur Hand, wenn sie sich, wie die gegenwärtige es tut, weigert, der Ukraine eine solche Verteidigungsstruktur zu ermöglichen, die den von Russland organisierten militärischen Aggressoren etwas gleichwertiges entgegensetzen kann?
    Diplomatie ist immer ein wesentliches Fundament für die Deeskalation von militärischen Spannungslagen bzw. Konflikten. Aber sie ist, was man gut am Normandie-Format erkennen konnte, nicht nachhaltig, wenn der Gesprächspartner eine unzuverlässige und autokratisches Regierung wie die Präsident Putins ist.

    Deutschland sollte seine Spielräume die es hat nutzen: Nordstream 2 war und bleibt ein Druckmittel von relevanter Größe, welches, auch nach Fertigstellung der Pipeline, genutzt werden muss.

    Die Empörung der von Herrn Lahl mittelbar genannten Partei nach der Äußerung des männlichen Teils des Spitzenduos, oder mittlerweile eher eine „One-Woman-Show“, zeigt, wie künstliche Empörungskultur funktioniert.

    Die Vernunft wird aber, spätestens nach dem 26. September 2021, siegen und der oder diejenige Verantwortliche im Auswärtigen Amt wird sich, Hand in Hand mit dem (neuen?) Verteidigungsminister, ernsthaft die Frage stellen, ob der gegenwärtige Kurs gegenüber Russland gerade im Hinblick auf die Ukraine noch tragfähig ist.

    Ich meine nicht.

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  3. Kersten Lahl

    @ Claus Jähner
    Bitte den Artikel noch mal genau lesen. Es geht hier nicht um die Nato oder gar eine Osterweiterung der Nato, sondern schlichtweg um die enorm schwierige Frage, wie und mit welchen Mitteln einem von außen bedrängten Mitglied der Völkergemeinschaft sinnvoll geholfen werden kann. Und das immerhin in Europa, gar nicht mal so weit weg von unserer Haustür.

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  4. Claus Jähner

    „undogmatische Realpolitik“ kann noch viel bizarrer daherkommen:
    Ich kenne eine grüne Abgeordnete, die beim dritten Schoppen Rotwein auch schon ‚mal die Meinung vertritt, Deutschland schulde der Ukraine notfalls auch einen Kriegseintritt.
    Und Kersten Lahl nimmt offenbar die deutsche/europäische/atlantische Partnerschaft zur Ukraine als gesetzt. Da vergessen wir immer wieder leicht, dass Russland die Nato-Integration Polens und des Baltikums grollend akzeptiert hat, zugleich aber auch aufgezeigt hat – egal, ob völkerrechtlich verbindlich oder nicht – dass eine weitere Ostexpansion der Nato nicht hinnehmbar sei. Und wir haben Signale gesendet, dass wir das unsererseits akzeptieren.

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