Wie das „Sondervermögen Bundeswehr“ funktionieren muss

Bundestagsbeschluss allein kein Garant für Erfolg

Scheitern ist keine Option. In der jetzt bevorstehenden Haushaltswoche des Deutschen Bundestages soll DAS zentrale Projekt der Ampel-Koalition nach der „Zeitenwende“-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz abschliessend beraten und im Grundgesetz verankert werden: ein 100-Milliarden-„Sondervermögen“ zur schnellen, modernen Vollausstattung der Bundeswehr. 

Das Hin und Her innerhalb der Fraktionen von SPD und Grünen, zwischen den Koalitionspartnern und zwischen Regierungslager und CDU/CSU-Opposition muss sich nun in Wohlgefallen auflösen, konkret: in eine Verfassungsänderung, ein Begleitgesetz und eine Beschaffungsliste („Wirtschaftsplan“). Weil ein zweites parlamentarisches Scholz-Desaster nach der gescheiterten Corona-Impfpflicht die ganze Koalition in Frage stellen würde, darf mit einem Konsens in letzter Minute gerechnet werden, egal ob das für manche Abgeordnete dann heisst: „Zähne zusammenbeißen“ oder „Augen zu und durch“ oder „Helm fester schnallen“.

Doch die Bundestagsbeschlüsse allein garantieren noch nicht den Erfolg der Haupt- und Staatsaktion „Wehrhaftmachung“. Was ist darüber hinaus erforderlich?

  • Erstens: Damit die jährlichen Zuflüsse aus dem Sondervermögen ausschließlich die notwendigen Rüstungsinvestitionen verstärken (2022: 10 Mrd. Euro, mit Sondervermögen wären 25-30 Milliarden im Jahr möglich) und nicht in Betriebsausgaben oder Materialerhalt versickern, muß der „reguläre“ Verteidigungshaushalt mindestens im Gleichschritt mit der Inflationsrate weiter steigen. Die veröffentlichte mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung sieht aber eine horizontale Deckelung des Bundeswehr-Etats bei 50 Milliarden Euro in den kommenden Jahren vor. Bliebe es dabei, wäre der Vollausstattungs-Plan, bevor er beschlossen ist, schon Makulatur. Denn erst würde im Budget das reguläre RüInvest-Kapitel kanibalisiert, dann das Sondervermögen. Aus einem spektakulären Plus von 100 Milliarden würde so eine 40- oder 50-Milliarden-Glaubwürdigkeits-Ruine.
  • Zweitens: Um nach Abwicklung des Sondervermögens in sechs oder sieben Jahren weiterhin die von Kanzler Scholz zugesagte Nato-Quote von zwei Prozent des deutschen BIP zu erreichen, müssten am besten jetzt schon sanfte Steigerungsraten an den (mit der Inflation mitwachsenden) Verteidigungsetat „angeböscht“ werden. Sonst wäre der grosse Sprung auf regulär zwei Prozent im Jahr 2028 absehbar mit schmerzhaften Kürzungen an anderer Stelle im Bundeshaushalt verbunden. Die Bundeswehrplanung sollte deshalb ab sofort auf einer sicheren haushalterischen Grundlage aufbauen. Denn das ständige Wegbrechen der finanziellen Fundamente hat genau zu der beklagenswerten Situation (Heeresinspekteur: Wir stehen „blank“ da) geführt, die nun endlich nach der „Zeitenwende“ beseitigt werden soll.
  • Drittens: Ohne Reform der Beschaffungsorganisation kann das Programm zur Wiederherstellung voll einsatzbereiter Streitkräfte nicht gelingen. Die bisher bekannt gewordenen Eckpunkte für ein „Bundeswehr-Beschaffungsbeschleunigungs-Gesetz“ (die als wesentliche Veränderung u.a. Widerspruchsrechte unterlegener Bieter einschränken) reichen nicht aus. Das Koblenzer Beschaffungsamt (BAIINBw) sollte vielmehr so schnell wie möglich von den Aufgaben der Materialerhaltung (die es mit der Bundeswehr-Reform von 2011 übertragen bekam) wieder befreit werden. Die betroffenen Teilstreitkräfte müssen das selbst können. Ausserdem sollte die Zuständigkeit für Allerwelts-Einkäufe an andere Teile der Bundeswehrverwaltung, ggf. auch an die Truppe, abgegeben werden. Dann reicht das BAIINBw-Personal vielleicht immer noch nicht – nach wie vor sind viele Stellen unbesetzt –, aber man wäre näher am Erfüllen der Hauptaufgabe, die ja unverändert bleibt: Beschaffung und kontinuierliche Modernisierung von Flugzeugen und Panzern, Schiffen, Hubschraubern und Raketen, Munition und Elektronik. Sollte, was zu erwarten ist, für die schnelle Umsetzung eines ab sofort verdreifachten Beschaffungsvolumens die Amtskapazität tatsächlich nicht ausreichen, muss man sich temporär Hilfe holen, sei es aus der Bundesverwaltung, sei es von außerhalb. Das müsste längst vorbereitet sein! Auf-die-lange-Bank-Schieben wäre jedenfalls keine akzeptable Alternative.
  • Viertens: Auch die endlich vollzogene Budgetvermehrung wird nicht alles bezahlbar machen, was bisher gefordert, geplant und verabredet wurde. Risikoarme, zügige Kauflösungen haben jetzt einen gewissen Vorrang vor langwierigen Gemeinschafts-Programmen mit Sonderwünschen von drei oder mehr Nationen (selbst wenn diese aus europäischer Perspektive wünschenswert bleiben). Eine kritische Revision der sechs französisch-deutschen Merkel/Macron-Entwicklungsprojekte von 2018 (FCAS-Flieger, MGCS-Panzer, Tiger III, Eurodrohne, Artillerie, Seefernaufklärer) steht noch aus. Verbesserung, Vernetzung und Ausschöpfung der Potenziale bereits vorhandener Systeme lautet eine der neuen Maximen zur Kostendämpfung.

Zusätzlich zum mit der Nato abgestimmten Fähigkeitsprofil der Bundeswehr dürfte als neuer Bedarf eine land- und/oder seegestützte Raketenabwehr für den Schutz Deutschlands vor existenziellen Gefahren erforderlich werden. Die marktverfügbaren Abfanglösungen Arrow 3 aus Israel, THAAD und Aegis aus den USA kämen für diese neue Bundeswehr-Fähigkeit in Frage. Denn nur das zu rüsten, was schon vor dem 24. Februar 2022 auf der Einkaufsliste stand, würde der Dimension der „Zeitenwende“ seit Putins Überfall auf die Ukraine gewiss nicht gerecht.

Dieser Artikel erschien am 30.05.2022 unter https://www.thepioneer.de/originals/thepioneer-expert/articles/wie-das-sondervermoegen-bundeswehr-funktionieren-muss

Dr. Hans-Peter Bartels (* 7. Mai 1961 in Düsseldorf) gehörte von 1998 bis 2015 dem Deutschen Bundestag als direkt gewählter Abgeordneter (SPD) an. Von 2015 bis 2020 war er Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages und setzte sich in seiner Amtszeit intensiv für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr ein. Seit Mai 2022 ist er Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V.

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2 Kommentare

  1. Sirko Bednarski

    Sehr treffend beschrieben, die Spezialisierung bedingt leider einen hohen Personalkörper!! Das BAAINBw muss leider den neuen Forderungen angepasst werden, oder mehr COTS / MOTS Produkte gekauft werden!

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  2. Roland Heckenlauer

    Treffend beschrieben

    Antworten

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Dr. Hans-Peter Bartels (* 7. Mai 1961 in Düsseldorf) gehörte von 1998 bis 2015 dem Deutschen Bundestag als direkt gewählter Abgeordneter (SPD) an. Von 2015 bis 2020 war er Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages und setzte sich in seiner Amtszeit intensiv für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr ein. Seit Mai 2022 ist er Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V.

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