Der Anfang vom Ende der Ära Putin?

Wie also geht es weiter?

Mit dem Krieg gegen die Ukraine hat sich der russische Präsident Wladimir Putin in jeder Hinsicht verkalkuliert. Weder wurde der Einmarsch von Ukrainern russischer Ethnie begrüßt, noch war und ist sein eigenes Militär so gut, dass es schnelle Erfolge erzielen konnte. Der Widerstand innerhalb Russlands gegen diese Aggression wächst, die Moral der russischen Soldaten sinkt, die Ukrainer kämpfen aufopferungsvoll und der Westen steht geschlossener da denn je.

Wie also geht es weiter? Ist das, was wir jetzt sehen, der Anfang vom Ende des Krieges oder der Anfang vom Ende der Ära Putins – oder gar beides?

Der Osteuropaexperte Stefan Meister sagte in einem Interview mit Tagesschau.de, veröffentlicht am 19.03., bezugnehmend auf die Rede Putins an die Regierung in welcher der russische Präsident, sich beziehend auf Kriegsgegner in Russland, von „Gesindel“, Verrätern“, und „Mücken“ sprach, die man einfach ausspucke: „Das erinnert an stalinistische Säuberungsrhetorik. Putin hat auch den Begriff der 5. Kolonne benutzt, der in den 1930er-Jahren verwendet worden ist, um damals das Vorgehen gegen alle „anti-russischen“ Elemente zu begründen. Putin wendet das gegen alle, die für den Westen arbeiten oder seiner Politik und seiner Person kritisch gegenüberstehen. Das ist alarmierend, weil das möglicherweise eine weitere „Säuberung“ im Land vorbereitet und zugleich die Wagenburg-Mentalität im Land stärken soll.“ 

Heißt dies, dass von der russischen Bevölkerung keine Änderung des Putinschen Systems ausgehen wird? Bedeutet dies auch, dass die an der Macht befindlichen Siloviki, also bewaffnete Organe und Geheimdienste, enger zusammen? 

Wie wirkt sich der Kriegsverlauf auf die Macht aus?

Nach der derzeit bekannten Lageentwicklung wird es den Streitkräften Russlands nicht mehr möglich sein die ursprünglichen Kriegsziele, d.h. ein schnelles Einnehmen Kiews, das Etablieren einer Marionettenregierung und die Verhinderung einer ukrainischen Westbindung zu erreichen. Schlechte Moral in der Truppe, Versorgungsengpässe und ein starker Widerstand der Ukrainer führen vermutlich dazu, dass Russland sich jetzt lediglich eine bessere Verhandlungsposition erkämpfen will. Eine Autokratie mit Nuklearwaffen verliert keinen Krieg gegen einen Nichtnuklearstaat, da dies auch das Ende des Autokraten bedeuten würde. Allerdings wird der Krieg in Russland an Unterstützung verlieren, je länger er andauert und je mehr Särge nach Hause transportiert werden.

Könnte der Widerstand der eigenen Bevölkerung also doch zu einem Regierungswechsel und damit zu einer schnellen Kriegsbeendigung führen?

Eine russische Soziologin sagte mir vor zwei Wochen, dass vom Volk, aufgrund der ständigen Propaganda, der eingeschränkten Information und der angedrohten Repression in absehbarer Zeit keine Änderungen zu erwarten seien. Keine Änderung im System heißt auch, keine Flexibilität hinsichtlich einer Beendigung des Krieges. Die Hoffnung des Westens, dass das Volk wegen der Sanktionen aufbegehren und die Bürger sich wegen der eigenen gefallenen Söhne erheben würden, scheint so schnell nicht in Erfüllung zu gehen.

In einem t-online Interview am 18.03. sagte Maria Kuznetsova von OVD-Info, einem der letzten humanitären Projekte in Russland: „Was wir jetzt sehen, ist moralischer Protest gegen den Krieg, gegen das Töten. Auf der Straße stehen vor allem junge Leute von 15 bis 40. Auch Teenager werden oft festgenommen. Es sind oft Angehörige der Intelligenzia – Studenten, Professoren, Künstler, IT-Spezialisten. „Aber, „diese Regierung interessiert die öffentliche Meinung nicht – aber die Meinung von denen, die mit ihnen arbeiten. Sie können einen Unterschied machen.“ 

Wie sieht es also mit denen aus, die mit Putin arbeiten, den Siloviki?

Der russische Geheimdienstexperte und Journalist Andrej Soldatov stellt fest, dass Putin inzwischen begreife, dass er vor dem Einmarsch in die Ukraine in die Irre geführt wurde. Wer berät Putin? Wer hat Einfluss und wer bereitet Entscheidungen vor? Sucht der russische Präsident jetzt Schuldige im engeren Kreis der Siloviki, also der Geheimdienste und des Militärs? Immerhin wurden angeblich schon hochrangige Mitarbeiter aus den Diensten und der Nationalgarde ihres Amtes enthoben.

Der Chef des Auslandsdienstes, Sergei Naryschkin, stellte anlässlich der 100-Jahr-Feier der russischen Auslandsaufklärung 2020 fest: „Die Informationen, die wir erhalten, helfen der Führung der Russischen Föderation, sich ein vollständigeres und klareres Bild der internationalen Lage zu machen und rechtzeitig wichtige politische Entscheidungen zu treffen.“ Naryschkin war jenes Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates, welches von Putin in seiner Propagandaveranstaltung zum Thema Selbstständigkeit der sogenannten Volksrepubliken, öffentlich bloßgestellt wurde. 

Zeigen sich also Risse im Gefüge des Sicherheitsrates und damit der Macht? Der Sicherheitsrat, der die Geheimdienste koordiniert und so auch Einfluss auf die Folgerungen und Empfehlungen hat, steht unter Führung von Nikolai Patruschew, einem Gewächs des KGB und später FSB. Er ist, nach Meinung von Experten, Putins Vordenker der Sicherheitsstrategie und auch der Übervater der Geheimdienste. Er ist wie viele andere Mitglieder des Sicherheitsrates geprägt von der Ideologie der Sowjetunion und ihren Strukturen. Sie eint Patriotismus sowie eine einheitliche Sicht, dass USA und damit auch NATO als Feind zu betrachten seien. Die Stabilität des Systems und die Rolle Russlands in der Welt ist den Mitgliedern des Sicherheitsrates vermutlich wichtiger als die Person Putins. 

Francis Fukujama schrieb am 16.03 „Putin wird die Niederlage seiner Armee nicht überleben. Er erhält Unterstützung, weil er als starker Mann wahrgenommen wird; was hat er noch zu bieten, sobald er seine Unfähigkeit unter Beweis gestellt hat und seiner Machtmittel beraubt ist?“ 

Deswegen kann und wird Putin den Krieg nicht verlieren. Ist er aber zum äußersten bereit? Würde er gemäß der eigenen Nuklearstrategie handeln, die im Falle eines Krieges zur Beendigung desselben zu annehmbaren Bedingungen für die Russische Föderation führen soll? Würde der Machtapparat diesen Schritt mitgehen?

Ist dieser Club der alten Männer geeignet, Putin zu stürzen? Wer würde sie unterstützen? Das Militär, welches sich zum Beispiel beim sogenannten Augustputsch zurückgehalten hat?

Auf einen Regierungswechsel zu hoffen, um eine schnelle Kriegsbeendigung zu erreichen, scheint wenig hilfreich. Also bleibt nur eine Verhandlungslösung, um dem Leiden der ukrainischen Bevölkerung ein Ende zu bereiten. Diese wird auch von den Ukrainern große Zugeständnisse abverlangen müssen und von uns – dem Westen- ein Mitgestalten. In einem solchen Krieg gibt es keine klare Trennung zwischen Gefecht und Diplomatie. Priorität sollte die Beendigung der Gefechte bekommen, mit einem Ausblick auf einen stabilen Frieden.

Sicher scheint, mit Putin wird es wohl kaum Verbesserungen in den Beziehungen zu Russland geben. Aber, es gibt auch eine Zeit danach. Diese kann überraschender kommen als alle Analysten beurteilen. Deshalb sollten wir jetzt schon beim Hochziehen neuer Mauern in den Beziehungen Türen einbauen, um trotz der jetzigen emotionalen Befangenheit, Zukunft in Europa gestalten zu können.

Reiner Schwalb (* 23. Februar 1954 in Gießen) ist Brigadegeneral der Bundeswehr a.D. und ehemaliger Verteidigungsattaché an der Deutschen Botschaft Moskau in Russland (2011-2018). Im Rahmen seiner Offiziersausbildung bei der Bundeswehr studierte Reiner Schwalb zunächst Bauingenieurwesen und später Politikwissenschaften in Washington D.C. Bei der Bundeswehr war in verschiedenen Funktionen tätig, u.a. als Leiter des Taktikzentrums des Heeres und als Verbindungsoffizier für die NATO. Seit 2021 ist er zudem Vizepräsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und publiziert zu verschiedenen sicherheitspolitischen Themen.

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7 Kommentare

  1. J K

    Wer garantierte die territoriale Integrität der Ukraine bei der Aufgabe ihrer Nuklearwaffen noch mal? Und was wurde seit 2014 bis heute daraus?

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  2. Reiner Schwalb

    @Richard Roßmanith. Richard, leider hast Du mit allem Recht. Eingehen auf die russischen paranoiden Bedrohungsperzeptionen wollten wir nicht – abschrecken vor Kriegsbeginn auch nicht. Schon im März 2014 sagten wir, dass die frühen Entscheidungen fast ausschließlich auf Sanktionen zu setzen und weitere Handlungsoptionen auszuschließen, engten den eigenen Handlungsspielraum unnötigerweise ein. Weder USA noch GBR waren willens, als Garantiemächte des Budapester Memorandums für die Unversehrtheit der UKR durch Abschreckung einzustehen – weder 2014 noch 2022. Der Rest von NATO hatte dazu auch kein Interesse. Je später und zögerlicher die Reaktion, bei gleichzeitigem frühzeitigen Ausschluss von Handlungsoptionen, um so schwieriger ist die Konfliktbewältigung und umso größer letztlich der Schaden. Jetzt können wir nicht einfach eingreifen. Abschreckung wirkt nur vor einem Krieg.

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  3. Richard Roßmanith

    @ReinerSchwalb. Reiner, voll einverstanden. Jeder Versuch, den Krieg durch Verhandlungen zu beenden ist zu unterstützen. Auch am Ende dieses Krieges kann/wird es eine vertragliche Regelung geben. Dazu ist es aber auch wichtig zuverstehen, wekche Art von Krieg mit welchem Zweck geführt wird.
    Meines Erachtens wurde der Krieg durch die Russen zu Beginn geführt als eine Art bewaffneter Einmarsch zum Zweck des Anschlusses der Ukraine, am besten unter dem Jubel der zu befreienden Ukrainer. Ging von Anfang an schief.
    Danach veränderte sich der Krieg zum klassischen Eroberungskrieg mit dem Ziel, die Ukraine unter die Herrschaft Russlands zu bekommen. Katastrophale Fehler auf der operativen Führungsebene und häufiges Versagen auf der taktischen Ebene der Russen sowie tapfer und gut geführte sowie klug kämpfende Ukrainer ließen diese Phase des Krieges zunehmend zu einem Desaster für die Russen werden mit der Aussicht, den Krieg unter Umständen zu verlieren.
    Wir kommen jetzt zu einer neuen Form der Kriegführung durch die Russen, die ich als Strafexpedition bezeichnen möchte, wo es primär auf die Verbreitung von Angst und Schrecken sowie strafende Vernichtung der Ukrainer angesichts ihrer Starrköpfigkeit und Undankbarkeit geht. Hierzu dient vor allem die Feuerkraft der russischen Truppen und Einsatzmittel. Dabei wird auch der Einsatz von Massenvernichtungswaffen nicht auszuschließen sein. Die USA vermuten bereits die Vorbereitung des C-Waffen-Einsatzes. Aber auch der Einsatz taktischer Nuklearwaffen kann und sollte bei der Vervolgung dieses Zweckes derr russischen Kriegsführung nicht ausgeschlossen werden.
    Und niemand – ich wiederhole mich – kann die russische Führung davon abhalten, dies zu tun. Wir als NATO mit unserer kategorischen Ablehnung jeglichen Eingreifens schon gleich gar nicht. Ganz im Gegenteil. Wir sind in der russischen Risikokalkulation der berechenbarste Teil. Und das ist auf der strategischen und operativen Ebenen so ziemlich das Schlechteste, was einem passieren kann.

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  4. Reiner Schwalb

    @Richard Roßmanith. Richard, grundsätzlich einverstanden. Allerdings spricht die russische Nuklearstrategie, die natürlich auch wegen Transparenz und Vertrauensbildung öffentlich gemacht wurde, expressis verbis auch von dem Einsatz von Nuklearwaffen zur schnelleren Beendigung eines Krieges. “ … im Falle der Entstehung eines militärischen Konflikts … die Beendigung zu für die russische Föderation annehmbaren Bedingungen.“ Wir sind aus meiner Sicht gut beraten, dies im Auge zu behalten. Deswegen sollten wir, trotz vermutlich emotional schwer zu ertragender Kompromisse, eine Verhandlungslösung unterstützen.

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  5. Reiner Schwalb

    @Richhard Rohde. Herr Rohde, aus meiner Sicht sollten wir uns, falls dieses ukrainische Vorschlag akzeptiert wird, auf jeden Fall beteiligen. Neben den ständigen Vertretern des UN Sicherheitsrates schlägt UKR ja CAN, DEU, ISR, POL und TUR vor. Da wir den Anspruch haben, Europa mit zu gestalten, müssten wir hier auch Verantwortung übernehmen.

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  6. Richard Roßmanith

    Nuklearstrategien in Ost und West sind stets ausgerichtet auf einen Kroeg zwischen Nuklearmächten. Ich wäre daher vorsichtig anzunehmen, dass der Nuklearwaffeneinsatz im Krieg gegen die Ukraine dort abgebildet sei. Wer würde – außer Kräfte in seiner Umgebung – Putin daran hindern, z.B. taktische Nuklearwaffen in der Ukraine einzusetzen. Die Nato auf keinen Fall! Da würde sofort die Abschreckungslogik und -mechanik greifen. Nicht jedoch im Fall der Ukraine selbst. Abschreckungslogik funktioniert nur dort, wo Eskalationspotenzial existiert.

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  7. Richard Rohde

    Dank für Ihre, wie immer, interessanten Analysen und Ableitungen. Insbesondere Ihren letzten textlichen Abschnitt betonend, sehe auch ich keine dringliche Veränderung im System Putin von Innen heraus. Und dies trotz einiger hoffnungsvoller Ansätze der Kritik von russischen Menschen, die leider mit Repressalien und deutlichen Gefahren für die Betroffenen weiter gedeckelt werden.
    Wird Deutschland im Rahmen der Mitgestaltung Sicherheitsgarantien für die Ukraine übernehmen, wie der ukrainische Präsident es vorgeschlagen hat? Ich bin gespannt, ob wir uns das nach dem hoffentlich bald endenden Krieg zutrauen.

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Reiner Schwalb (* 23. Februar 1954 in Gießen) ist Brigadegeneral der Bundeswehr a.D. und ehemaliger Verteidigungsattaché an der Deutschen Botschaft Moskau in Russland (2011-2018). Im Rahmen seiner Offiziersausbildung bei der Bundeswehr studierte Reiner Schwalb zunächst Bauingenieurwesen und später Politikwissenschaften in Washington D.C. Bei der Bundeswehr war in verschiedenen Funktionen tätig, u.a. als Leiter des Taktikzentrums des Heeres und als Verbindungsoffizier für die NATO. Seit 2021 ist er zudem Vizepräsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und publiziert zu verschiedenen sicherheitspolitischen Themen.

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