Erörtern Sie mit uns anhand eines Zwiegesprächs das transatlantische Verhältnis!
Eine aufreibende Wahl liegt hinter uns, mit teils noch offenem Ausgang. Eigentlich war es ja nicht „unsere“ Wahl, sondern die der amerikanischen Bürger. Aber trotzdem liegen die Nerven auch in Deutschland seit Wochen blank – wie wohl fast überall auf der Welt. Denn alle sind betroffen, mehr oder weniger. „America first“ in seiner vier Jahre lang geübten Praxis lässt sich ja zugleich als „everything else last“ interpretieren. Das wiederum ist keine gute Grundlage in einer so komplexen Welt, in der entscheidende Zukunftsaufgaben letztlich nur gemeinsam bewältigt werden können.
Zurück zur Wahlnacht mit den teils reichlich irritierenden Wasserstandsmeldungen zur Prognose, ob Präsident Trump abgewählt wird oder vier weitere Jahre für sein dann wohl endgültiges Zerstörungswerk des nationalen wie internationalen Miteinanders erhält – und auch zurück zur Analyse, was das alles für uns selbst bedeutet. Die etwas bangen Meinungen hierzu zeigen sich in folgendem (aus redaktionellen Gründen stark gekürzten) Zwiegespräch zweier Bürger in einer deutschen Kleinstadt unmittelbar nach der Wahlnacht.
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A: Das ist wohl auch als Weckruf an uns zu sehen! Wir müssen jetzt endlich über unseren Schatten springen und alles tun, um für die USA wieder attraktiv zu werden. Denn irgendwo hatte Trump ja schon immer einen Punkt mit seinem Druck auf Europa und speziell Deutschland. Realpolitik verlangt nun mal Opfer, auch von uns.
B: Na ja, im Grundsatz hast du nicht ganz Unrecht. Aber wollen wir uns wirklich in den Staub werfen, uns verbiegen oder gar nötigen lassen? Wäre es nicht reiner Opportunismus, wenn wir unsere Auffassung von wertebasierter Außenpolitik aufgeben, nur um Amerika zu besänftigen?
A: Nein, das wäre es überhaupt nicht, denn das große Ganze zählt. Im Grunde dürfen wir nie vergessen, dass Europäer und Amerikaner eine feste Wertegemeinschaft bilden. Das macht den Kern gemeinsamer Interessen aus und zwingt auch uns, zu deren nachhaltigem Schutz einen angemessenen Beitrag zu leisten. Jede Investition in diese Richtung rentiert sich auf Dauer. Gerade für uns.
B: Na ja, das habe ich auch mal so gesehen. Aber die Auffassung von Werten ist doch de facto keine wirklich gemeinsame mehr! Denk nur mal an die vielen aktuellen Beispiele amerikanischer Alleingänge: Aus der Weltklimapolitik ausscheren, internationale Vereinbarungen kleinreden, Sanktionen en masse androhen, Deutschland von außen seine Energiepolitik vorschreiben, aus der WHO ausscheren, den Internationalen Gerichtshof brüskieren, und und und. Das erinnert doch eher an einen selbstherrlichen Hegemon als an einen Partner. Und auch alles das, was wir derzeit im Zuge der Wahl in der amerikanischen Innenpolitik beobachten, wirft die Frage auf, ob wir beiderseits des Atlantiks noch ähnlich ticken oder eher unaufhaltsam auseinanderdriften.
A: Stimmt, aber trotzdem bleibt es in unserem eigenen Interesse, die Bindung an die USA als unserem wichtigsten Bündnispartner wieder zu festigen, der uns noch dazu den unverzichtbaren militärischen Beistand einschließlich des nuklearen Schutzschirms bietet. Das war seit Jahrzehnten so, und es wird auch so bleiben. Und das lässt sich nur schaffen, wenn auch wir liefern, selbst wenn’s weh tut. Auf wen sonst könnten denn wir bauen? Russland etwa, oder gar China? Nicht mit mir! Davon rate ich entschieden ab. Mein Vertrauen in deren Machtstreben und Gesellschaftsform ist gleich Null. Nein, wir haben keine wirkliche Alternative zur USA und zur Nato, solange das Trauerspiel europäischer Uneinigkeit fortbesteht.
B: Leider muss ich dir da zustimmen. Was uns Europäern fehlt, ist eine gemeinsame Strategie, die endlich unser doch so enormes Potenzial bündelt und damit unserer Auffassung von moderner Politik zum Wohle aller das nötige Gewicht verleiht. Erst dann wird Europa wohl wieder interessant als Partner der Amerikaner. Und wir können umgekehrt mehr Einfluss geltend machen. Aber der Weg dahin ist noch verdammt weit …
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Hier endet der mitgehörte und an dieser Stelle abgebrochene Diskurs. Der Austausch von Argumenten ging in Wirklichkeit noch längere Zeit weiter. Aber auch hier bei uns können wir ihn fortsetzen.
Einleitend dazu finden Sie ein paar kurze Fragen mit der Bitte um ein Kreuzchen an der Stelle, wo Sie eine Antwort sehen. Weiter unten können Sie dann wie gewohnt kommentieren. Bitte beachten Sie auch, dass Sie sich (falls noch nicht im GSP-Blog geschehen) ganz kurz und einmalig als User anmelden müssen, wenn Sie sich – was wir sehr begrüßen würden – aktiv beteiligen möchten.
Zwei Punkte scheinen mir wichtig zu sein:
1. Solange es keine Anzeichen für einen bevorstehenden Staatsstreich in den USA gibt, halte ich die Entrüstung über die Persönlichkeit und das Verhalten Trumps für wenig ergiebig. Dass Trump zu unreif und zu wenig seriös für sein Amt ist, wird den Amerikanern nicht verborgen geblieben sein. Man müsste versuchen zu verstehen, warum etwa die Hälfte der Wähler ihn trotzdem gewählt hat. Das kann auch für uns wichtig sein. Auch hier gibt es viele Menschen, die wir mit dem, wie wir Politik und Demokratie praktizieren, nicht erreichen.
2. Grundsätzlich einverstanden mit der Übernahme von mehr internationaler Verantwortung durch Deutschland. Nur: Unsere Nation ist zutiefst unsicher und unsere Politiker sind es auch. Unsicherheit (nicht so sehr Angst) scheint mir die vorherrschende Emotion zu sein. Sicherheitspolitik ist bei uns zudem kein sonderlich geschätztes Politikfeld; sicherheitspolitisches Verständnis scheint zu fehlen. Woher soll diese Nation das für ein stärkeres aussenpolitisches Agieren nötige Selbstbewußtsein nehmen? – Eine interdisziplinäre, verständnisvolle, nicht wertende Reflexion der jüngeren deutschen Geschichte wird m.E. helfen.
Wigbert Gruß