The Pioneer-Kolumne „Situation Room“ von Dr. Hans-Peter Bartels
Sagen wir Mali „au revoir“, wenn die Franzosen abrücken? Im Mai müssten die beiden Mandate für unsere Bundeswehr-Kontingente (EU und UN) in der Sahelzone um ein weiteres Jahr per Bundestagsbeschluss verlängert werden, wenn alles so liefe wie in den vergangenen neun Jahren. Doch so wie es im Augenblick läuft, kann es nicht weiter gehen.
In Malis Hauptstadt Bamako hat eine Militärjunta die demokratischen Verfassungsrechte ausser Kraft gesetzt, russische Söldner ins Land geholt, den französischen Botschafter ausgewiesen und ein Bundeswehr-Flugzeug mit Soldaten an Bord nicht einfliegen lassen. Das ist der aktuelle Kummer.
Aber bereits seit längerer Zeit musste man sich die Frage stellen, welche Perspektive das deutsche Engagement in dieser afrikanischen Krisenregion eigentlich hat. Alle Indikatoren für den Erfolg der internationalen Bemühungen zeigen eine negative Tendenz: Die Wirtschaft läuft schlecht, die Regierung funktioniert nicht, die von den Europäern ausgebildete malische Armee schafft wenig Sicherheit, Terroranschläge nehmen zu, das Gewaltniveau steigt.
Argumente für ein Eingeständnis des Scheiterns der Militärmissionen von Vereinten Nationen, Europäischer Union und der französisch geführten Antiterror-Koalition gäbe es also genug.
Aber käme nach Afghanistan ein weiterer strategischer Rückzug in Afrika nicht einer Bankrotterklärung des Westens gleich? Zögen wir uns in ein isolationistisches EU-Biedermeier zurück? Würde die Nichteinmischung in Krisenregionen zum neuen geopolitischen Prinzip des Westens? Eine Art Nicht-Interventions-Doktrin? Verteidigen wir nur noch uns selbst?
Aus dem amerikanischen Teil der Weltgeschichte ist ein solches Schwanken zwischen Isolationismus und Interventionismus durchaus bekannt. Präsident Franklin D. Roosevelt war, als Nazi-Deutschland ganz Europa überrannte, per Gesetz gehindert, den europäischen Demokratien militärisch zu helfen. Die US-Gefallenen des Ersten Weltkriegs hatten dem Kongress gereicht: Nie wieder in fremder Mächte Händel einmischen, lautete die Lehre. Erst als die Japaner Pearl Harbour überfielen und noch im selben Monat Hitler selbst Amerika den Krieg erklärte, traten die USA mit ihrer ganzen Kraft zur Befreiung Europas und Südostasiens an.
Zögen nun Frankreich, Deutschland und die anderen aus Mali und der Sahelzone ab, hiesse das im übrigen keineswegs, dass diese Region dann „sich selbst“ überlassen wäre und ein dauerhaftes Machtvakuum entstünde. Das Vakuum wäre schnell gefüllt. Die Russen drängen bereits nach, auch China hat Interesse am Sahel. Und mit Geld von der arabischen Halbinsel werden jetzt schon radikale wahhabitische Moscheen errichtet.
Wenn allerdings der Bundestag einer Fortsetzung der deutschen Militärpräsenz am Niger-Fluss, in Bamako, Koulikouro, Gao und Niamey doch wieder zustimmen soll, dann braucht das internationale Engagement in den „G5 Sahel“ (Mali, Niger, Burkina Faso, Tschad und Mauretanien), diesen ärmsten Ländern der Erde, ein anderes Design: einen ganzheitlichen zivil-militärischen Plan, eine gemeinsame Strategie, klare Koordination und Führung. Deutschland müsste wirkliche Mitverantwortung für den Erfolg übernehmen. Nur weiter dabei sein, aus Solidarität mit Frankreich oder weil man irgendwie nicht nichts tun kann, reicht nicht. Dafür müssen nicht über 1000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in der Wüste Dienst tun.
Dieser Artikel erschien zuerst am 05.02.22 unter: https://www.thepioneer.de/originals/thepioneer-expert/articles/wenn-interventionen-scheitern
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