Ziemlich beste Freunde

China, Russland und der Krieg um die Ukraine

Wir sehen es alle vor uns, das Bild der beiden einsamen Diktatoren bei der Winterolympiade in Peking. Putin war der einzige internationale Staatsführer von Rang, der gekommen war, und er wurde entsprechend hofiert. Mit nach Hause nehmen durfte er dafür neue Handelsverträge und das Versprechen ’grenzenloser Freundschaft‘. Dennoch, China kann über die wenige Tage später erfolgte Anerkennung der ‚Unabhängigen Volksrepubliken‘ Luhansk und Donezk, den beginnenden Krieg und das ihm innewohnende Chaospotential für das internationale System und die globale Wirtschaft nicht begeistert gewesen sein. Das Reich der Mitte präsentiert sich als ein konstruktives Mitglied der internationalen Gemeinschaft: neutral, dem Frieden verpflichtet und stets bereit, die territoriale Integrität und das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu verteidigen beteiligt sich China an UN-Friedensmissionen. Man hat nicht nur das Pariser Klimaabkommen unterschrieben. China hat sich auch in seiner Verfassung verpflichtet, eine ökologische Zivilisation zu schaffen. Ein aktuelles von Präsident Xi angestoßenes Grundsatzdokument zur Entwicklungsstrategie bis zum 100. Geburtstag im Jahr 2049 legt fest, dass die Reform- und Öffnungspolitik fortgesetzt werden soll und China sich für eine internationale Ordnung einsetzen wird, die auch die Interessen der Entwicklungsländer berücksichtigt und auf Macht- und Hegemonialpolitik verzichtet.

Russland ist in derselben Zeit ganz anders auf die internationale Bühne zurückgekehrt. In den 30 Jahren desbeispiellosen Aufstiegs Chinas zur größten Handelsmacht der Welt ist Russland nicht in der Lage gewesen, im globalen ökonomischen und gesellschaftlichen Wettbewerb zu bestehen. Es ist weitgehend im Stadium einer rohstoffabhängigen Rentenökonomie stecken geblieben. Auf dieser Grundlage hat Vladimir Putin – traumatisiert vom – seines Erachtens – unrühmlichen Ende der Sowjetunion und frustriert von der Arroganz und Ignoranz einesexpansiven Westens – seit seiner Amtsübernahme im Jahr 2000 Russland zurück in die internationale Politik geführt. Auf der Basis der Modernisierung der Armee erfolgte dies mit dem Anspruch, eine Weltmacht zu sein. Diese ließ seitdem keine Gelegenheit aus, anti-westliche, anti- amerikanische und anti-demokratische Kräfte zu unterstützen. Russland profilierte sich als militärischer Gewaltakteur, bereit und in der Lage zu multiplen Arten von Intervention: Staatsterrorismus, hybride Kriegführung, Einsatz von Söldnertruppen, internationales Brigantentum. Der Krieg in der Ukraine ist das vorerst größte Abenteuer, in das der Präsident sein Land gestürzt hat.

 Bisher hat die Invasion in die Ukraine allerdings etwas von einem militärischen Offenbarungseid für Vladimir Putin.Sie ist für Russland ein Desaster. Es gibt enorme Verluste an Menschen und Material, offensichtliche taktische Fehler auf der Leitungsebene, Probleme mit der Moral der Truppe, der Logistik und der Aufklärungsarbeit der Dienste. Bei der Modernisierung der vergangenen Jahre scheint Korruption in großem Stil im Spiel gewesen sein. Die Folge sind symbolträchtige Demütigungen wie der Verlust des Flaggschiffs der Schwarzmeerflotte oder der gescheiterte Versuch, zu Kriegsbeginn die ukrainische Hauptstadt Kiew einzunehmen. Der Krieg dauert an und könnte sich längerhinziehen. Der Westen, auch Europa, ist geeint und die NATO steht vor einer Erweiterung um die militärisch bestens aufgestellten Länder Schweden und Finnland. Die NATO-Militärs dürften sich die Augen reiben. Und sie dürften sich sicher sein, dass sie mit diesem Gegner in einem konventionellen Krieg gut fertig würden – nur ist Russland leidereine Nuklearmacht.

Für Putin wird die Entwicklung des Konfliktes innen- wie außenpolitisch zunehmend problematisch. Zu Hause dürfteder bisherige Kriegsverlauf seinen Nimbus als Führer unterminieren. Und außenpolitisch kann es ihm nicht gleichgültig sein, wenn das Leitmedium des liberalen Kapitalismus, der ‚Economist‘, titelt: „How rotten is Russia’s army?“ Gründet doch sein Anspruch, im Konzert der Großmächte mitzuspielen auf der Behauptung, Russland verfüge über eine hochmoderne, professionelle und kampfstarke Armee.

 Wie immer der Krieg ausgeht, er hat bereits jetzt Dynamiken ausgelöst, die weitreichende globale Entwicklungen nach sich ziehen werden. Er verstärkt die seit der Finanzkrise vor 10 Jahren erkennbaren und durch die Corona Pandemie beschleunigten De-Globalisierungstendenzen. Geo-politisch entstehen neue Kraftfelder und geo-ökonomisch zeichnet sich eine Neuaufstellung der Energie-, Produktions-, Distributions- und Finanzsysteme ab. In diesem Kontext sind Chinas internationaler Status und sein so überaus erfolgreiches Modell nachholender Entwicklung durch Russlands Krieg und die enge Partnerschaft mit Putin zunehmend herausgefordert.

Politisch, offiziell, ist China neutral und für Frieden. Es hat den Krieg weder unterstützt noch verdammt. Aber dies ist offensichtlich eine pro-russische und anti-amerikanische Neutralität, was dadurch unterstrichen wird, dass die staatlichen Medien und Chinas zensiertes Internet die Kreml- Version der Ursachen und des Verlaufs des Kriegesübernehmen. Es gibt zwar eine innerchinesische Kontroverse darum, wie man sich gegenüber Russland aufstellen soll. Aber als Mediator für eine Verhandlungslösung fällt Peking aus. Gleichwohl ist China vermutlich der einzige Staat, der Einfluss auf Vladimir Putin ausüben könnten.

Ökonomisch befindet sich die Volksrepublik seit einiger Zeit in einer Entwicklungsphase, in der sie von quantitativemauf qualitatives Wachstum umstellt und stärker auf die Entwicklung des Binnenmarktes setzt. Auch dafür ist man aber weiterhin auf offene Märkte, funktionierende Lieferketten und eine regelbasierte internationale Ordnung angewiesen. Im Gegensatz zu Russland ist es nicht in Chinas Interesse, die bestehende internationale Ordnung zuzerstören.

Für das Land wird entscheidend sein, genau zu beobachten, wie der Westen versucht, die De-Globalisierung in seinem Sinne zu gestalten. Die USA betrachten China nicht erst seit Trump als zentralen geopolitischen Gegner. In der Wahrnehmung der EU ist China vom größten Markt zum strategischen Rivalen geworden, und das Europaparlament hat noch vor dem Krieg die Ratifizierung eines lange ausgehandelten Investitionsabkommens mit China suspendiert. Sollten die USA, Europa, Japan und auch Länder wie Süd-Korea, Kanada, Australien und Neuseeland im Angesicht der russischen Aggression in der Ukraine sicherheits- und verteidigungspolitische Aspekte über wirtschaftliche und Wohlfahrtsfragen stellen. Und sollten sie bereit sind, die dafür nötigen Opfer zu bringen, wird Chinas Handel davon negativ betroffen sein. Weiter wird die neue Dimension westlicher Sanktionen, die über alles hinausgehen, was man bisher kannte, weitreichende Auswirkungen auf die globale Ökonomie haben. Hier ist China verletzbar, denn bisheute sind die USA, Europa und Japan die mit Abstand wichtigsten Märkte für chinesische Exporte. Sollte der Marktzugang in diesen Ländern signifikant eingeschränkt werden, braucht man andere Märkte oder den eigenen Binnenmarkt, um dies zu kompensieren – beides ist nicht in Sicht. Abgesehen von schrumpfenden Exportmärkten wird China der Zugang zu Hoch- Technologie im Westen erschwert. Nicht nur die USA haben Sanktionen gegen Huawei oder Halbleiterfirmen verhängt. Auch in Europa haben Regierungen jüngst die chinesische Übernahme von Spitzentechnologie untersagt. Für China dürfte noch ein weiterer Aspekt der De-Globalisierung von besonderer Bedeutung sein, der eng mit dem eigenen Entwicklungsmodell zu tun hat: Der Wegfall von Effizienzgewinnen durch die dynamische Konkurrenz mit rivalisierenden westlichen Unternehmen im eigenen Land. Eine zentralesErfolgselement des chinesischen Wirtschaftswunders war die Dezentralisierung und Delegation ökonomischer Entscheidungen, die Wettbewerb und Kreativität förderte und die Qualität der eigenen Produkte schnell verbesserte (und Korruption lange Zeit in Kauf nahm). Sollte dieser Konkurrenzdruck ausbleiben, bleibt abzuwarten, wie sich Chinas Innovationskraft und der Übergang zu einer Wissensökonomie entwickeln.

Der Binnenmarkt des Landes steht vor großen konjunkturellen und strukturellen Herausforderungen: HoheVerschuldung, ein implodierender Immobiliensektor, die fortschreitende Überalterung der Bevölkerung belasten das Wachstum. Dies wird begleitet von einer extremen Ungleichheit der Einkommen, einer Explosion bei den Wohnkosten und noch nicht voll ausgebildeten sozialstaatlichen Institutionen, die eine rückläufige Nachfrage kompensieren undsozial abfedern könnten. Fabrikschließungen wegen rückläufiger Exporte würden die Lage weiter erschweren. Hinzu kommt ein sich abzeichnendes Scheitern der chinesischen Zero-COVID Strategie. Der jüngste Lockdown in Shanghai hat nicht nur ökonomische Spuren hinterlassen, sondern auch deutlich gemacht, dass das Land auf Omikron nicht vorbereitet ist und die eigenen Impfstoffe nicht mit denen des Westens konkurrieren können.Angesichts der brutalen Durchsetzung der Quarantäneregeln offenbarte sich eine politische Dimension der bisher verfolgten COVID-Strategie. Die Bevölkerung scheint mit zunehmendem Unverständnis und Widerspruch auf diesinnfrei erscheinende staatliche Härte zu reagieren. Und es fragt sich, ob das Vorgehen der Autoritäten demallgemeinen Trend zu einer Re-Zentralisierung der Macht in der Partei und bei Präsident Xi Jinping zugerechnet werden muss. Der internationale Imageverlust, dem sich China durch die Spekulationen um den Ausbruch der Pandemie in Wuhan ausgesetzt sah und der durch die zwischenzeitlich vermeintliche Kontrolle der Pandemiewettgemacht schien, dürfte durch die jüngsten Ereignisse wieder zunehmen.

Vor diesem Hintergrund ist klar, dass bereits beim heutigen Stand des Ukraine-Krieges die Nähe zu Putin für China immer mehr zum Problem wird. Der bisherige Kriegsverlauf deutet daraufhin, dass die russische Seite beifortgesetzter Erfolglosigkeit mit einer weiteren Brutalisierung und Eskalation der Kampfhandlungen reagieren oder wohlmöglich den Einsatz chemischer oder taktischer Nuklearwaffen erwägen könnte. Diesen Weg wird China nicht mitgehen können, will es nicht seine über Jahrzehnte behutsam und klug aufgebaute internationale Reputationriskieren und damit seine eigenen Entwicklungserfolge in Frage stellen. Putin sollten deshalb nicht damit rechnen, dass China ihm hilft, die westlichen Sanktionen zu umgehen oder ihn gar militärisch rettet. Bezeichnenderweise hat Chinazwar Partnerschaftsabkommen mit Russland unterzeichnet, aber keine Allianz gebildet, die gegenseitige Unterstützungsverpflichtungen nach sich ziehen könnte. Russland sollte sich keine Illusionen machen, China war bis dato in der internationalen Politik eine außerordentlich eigennützige Macht.

Im Gegensatz zu Russland kann China selbst bestimmen, wie es aus dem Konflikt hervorgeht. Es kann die Sanktionen gegen Russland und ihre Wirkungen in Ruhe analysieren. Und im Hinblick auf seine Taiwan-Gelüste wird Peking den Kriegsverlauf beobachten und abwägen, welche Risiken es eingehen müsste. China kann mit einem durch den Krieg geschwächten Russland möglicherweise besser leben als mit einem imperial aufgewerteten Partner, der eine gewachsene Dauerbedrohung für das internationale System darstellen würde.

Der russische Diktator und seine Clique haben sich und ihr Land in eine Lage manövriert, die sie selbst nichtvorhergesehen haben und aus der ein gesichtswahrender Ausweg immer schwerer vorstellbar wird. Es wird immer deutlicher, dass der konstruierte Kriegsgrund, der das Existenzrecht der Ukraine leugnet, der verschwurbelten Fantasie eines zum Hobbyhistoriker mutierten und in Corona-Zeiten vereinsamten Diktators entspringt. Putin gibt vor, den Krieg im Interesse Russlands zu führen. Doch Russland ist ein Vielvölkerstaat, und es dürfte genügend Ethnien geben, die schon jetzt denken, dass dies nicht ihr Krieg ist. Putin riskiert inzwischen nicht nur sich und sein Regime, sondern die russische Föderation als Ganzes. Wenig deutet im Moment darauf hin, dass er die sich selbst verordnete Mission, Russland zu imperialer Größe in den Grenzen der Sowjetunion zurückzuführen, wird erfüllen können. Das Gegenteilkönnte der Fall sein und Russland geschwächt und kleiner aus dem Konflikt hervorgehen.

So mag sich der Mann im Kreml, der fließend Deutsch spricht und die klassische deutsche Literatur verehrt, an Johann Wolfgang von Goethes berühmte Ballade vom ‚Zauberlehrling‘ erinnern. Der hat unerlaubter Weise mit einem Zauberspruch Geister gerufen, die er dann nicht mehr kontrollieren konnte: ‚Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los‘. Das ist es, was diesen Krieg so extrem gefährlich macht.

Dr. Uwe Optenhögel (* 1952) ist Verleger, Autor und Vize-Präsident der Foundation for European Progressive Studies (FEPS) in Brüssel. Er arbeitet als freiberuflicher Politik- und Organisationsberater und war zuvor u.a. als Direktor des Europa-Büros der FES in Brüssel sowie als Abteilungsleiter für Internationalen Dialog in Berlin. Für die Gesellschaft für Sicherheitspolitik schreibt er zu verschiedenen sicherheitspolitischen Themen.

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Dr. Uwe Optenhögel (* 1952) ist Verleger, Autor und Vize-Präsident der Foundation for European Progressive Studies (FEPS) in Brüssel. Er arbeitet als freiberuflicher Politik- und Organisationsberater und war zuvor u.a. als Direktor des Europa-Büros der FES in Brüssel sowie als Abteilungsleiter für Internationalen Dialog in Berlin. Für die Gesellschaft für Sicherheitspolitik schreibt er zu verschiedenen sicherheitspolitischen Themen.

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