Narzissmus in der Krise

Psychologie und Politik

Kürzlich stand in der F.A.Z. ein interessanter Artikel über Narzissmus und dessen Folgen in der Wirtschaft. Es geht um Führungskräfte, die den Glanz der eigenen Person lieben, einem permanenten Selbstdarstellungszwang unterliegen und zu diesem Zwecke manipulieren und intrigieren. Nicht ganz überraschend sind hierzu ein paar konkretere Erkenntnisse aus breit angelegten Studien, darunter etwa: Erstens nimmt in der Hierarchie der Anteil besonders narzisstisch veranlagter Manager nach oben hin zu. Selbstverliebtheit und Drang zur Außendarstellung scheinen also einer Karriere durchaus förderlich zu sein. Zweitens aber erweist sich Narzissmus für das Unternehmen selbst eher als dysfunktional und schädlich, weil er nicht zuletzt auch oft den Anforderungen an gute Führung entgegensteht. Und wenn, drittens, Narzissmus in Spitzenpositionen hoch ausgeprägt ist, kann das im Ergebnis für die Unternehmenskultur durchaus toxisch werden und strategische Fehlentscheidungen produzieren.

Ist es zulässig, diese Thesen auf die Politik zu übertragen? Nun lässt sich auch hier eher schwer behaupten, Narzissmus spiele keine große Rolle. Man braucht sich nach geeigneten Prachtexemplaren nur mal gezielt umzuschauen und wird schnell fündig. Ein besonders prägnantes Beispiel der Selbstinszenierung und -überhöhung trifft einen amerikanischen Präsidenten, der vor gut einem Jahr abgewählt wurde und diese selbstempfundene Schmach bis heute in keiner Weise verkraftet. Aber man muss auch nicht lange nach anderen Regierungschefs (ja, meist sind es Männer) suchen, die sich gerne mal mit nacktem Oberkörper aufplustern und den starken Mann spielen, die auf weißen Pferden durch die Steppe galoppieren oder vor gewaltigen militärischen Aufmärschen posieren, die wagemutig durch breite Flüsse schwimmen, die übertriebenen Pomp um sie herum genießen, die an allgemein gültige Gesetze selbst nicht gebunden zu sein glauben, die auch mal personenbezogene Meinungsumfragen in ihrem Sinne manipulieren, oder die vorbehaltlose Anerkennung mit strengster Kontrolle einklagen. Die Liste ist lang. Im deutschen Kanzleramt der letzten anderthalb Jahrzehnte kann man dieses Phänomen eher wenig beobachten – aber das ist eine vergleichsweise wohltuende Ausnahme. Und: So ein wenig Narzissmus steckt ja wohl in jedem drin, der sich um eine öffentliche Aufgabe bewirbt. Es gehört eben dazu, sich persönlichen Respekt zu wünschen und einzufordern. Auch schließen sich Charisma und Narzissmus nicht unbedingt aus, ist die Trennlinie zu Stolz und Eitelkeit unscharf. Es kommt eben auf Maß und Mitte an.

Aus sicherheitspolitischer Perspektive wird das Phänomen allerdings dann relevant, wenn ein übertriebener Narzisst, mit höchsten staatlichen Kompetenzen ausgestattet, in einer größeren Krise vor eine scheinbar unlösbare Aufgabe gestellt wird. Ein solches Szenario droht das eigene Ego zu beschädigen – was es aus seiner Sicht mit allen Mitteln zu verhindern gilt. Dann kann sich leicht so etwas wie ein innerer Kampf zwischen selbstzentrierten, staatsbürgerlichen und ethischen Motiven entwickeln. Ausgang oft ungewiss – und dies umso eher, je mehr formale oder informelle Macht dem Amtsinhaber zukommt. Und noch kritischer wird es, wenn in einer solchen Krise gar zwei oder mehr ähnlich veranlagte Protagonisten aufeinanderprallen. Das ist dann der klassische Fall einer Konfrontation ohne große Chancen zu Deeskalation und Interessenausgleich. Oft lässt sich als Konsequenz dann nicht vermeiden: Einer muss verlieren.

Damit schließlich – und deshalb diese Gedankenführung – sind wir bei den aktuellen Krisen in der Weltpolitik. Also bei dem Russland-Ukraine-Konflikt, bei den diversen Bürgerkriegen im Nahen und Mittleren Osten, bei Nordkorea, und so weiter. Es stimmt: Narzissmus ist überall dort meist nicht der primäre Auslöser internationaler und innerstaatlicher Verwerfungen. Aber er steht rechtskonformen, friedlichen und ausgleichenden Lösungen allzu oft im Weg. Und es lässt sich auch – trotz oder vielleicht sogar wegen eines Blicks über den Atlantik – eine These vertreten: Je autokratischer ein Gesellschaftssystem ist, umso schwerer wiegen die geschilderten Gefahren, und umso weniger ist ihnen entgegenzusetzen. Ohne ein wirksames Korrektiv, etwa im Sinne innerstaatlicher Gewaltenteilung, kann sich eine unheilvolle Verbindung zwischen Macht und Narzissmus erst so richtig entfalten.

Was folgt aus diesen Thesen (falls sie stimmen)? Erstens: Weil Politik von Menschen bestimmt wird und zudem immer mit Macht zu tun hat, spielen individual- wie massenpsychologische Prozesse dort eine wichtige Rolle. Das gilt es in der realpolitischen Analyse von Problemen und der Findung von Lösungsoptionen zu berücksichtigen. Die Gefahr eines durch allzu persönliche Triebe angefeuerten Automatismus, der zur ungebremsten Eskalation und schließlich in die Katastrophe führen kann, liegt auf der Hand. In den USA wurde ein solches Szenario vor einem Jahr nur knapp verhindert. Und zweitens: In der Diplomatie kommt es entscheidend darauf an, in Konfrontationen dem Gegenüber ein gesichtswahrendes Ergebnis bieten zu können, freilich ohne die eigene Linie zu verraten und sich einem allzu naiven Appeasement auszuliefern. Den Kontrahenten „zu verstehen versuchen“ ist die Devise – was freilich keineswegs heißt, auch immer „Verständnis“ für seine Position entwickeln zu müssen.

Genau an dieser Stelle stehen wir aktuell wieder, wenn wir nach dem Osten Europas schauen. Die allgemeine Linie: Erpressungsversuche auf keinen Fall dulden, hart bleiben in den zentralen Grundsätzen, aber auch kreativ Lösungswege entwickeln, mit denen jede Seite einigermaßen leben kann. Das Ergebnis ist entscheidend, nicht das Gewinnergefühl. Narzissten brauchen eine Hintertür, aber diese darf zugleich kein Scheunentor sein. Eine Gratwanderung der Diplomatie, kein Zweifel. Hat da jemand gute Vorschläge, vor allem auch mit Blick auf die reale Krise rund um die Ukraine? 

Über Kersten Lahl

Kersten Lahl (* 6. Juli 1948 in Bielatal) ist Generalleutnant a.D. des Heeres bei der Bundeswehr und war nach seiner Pensionierung von 2008 bis 2011 Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Während seiner Zeit bei der Bundeswehr war Kersten Lahl von 1991 bis 1994 Adjutant und militärpolitischer Berater des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Seit 2012 ist er Vizepräsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und publiziert zu verschiedenen sicherheitspolitischen Themen.

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7 Kommentare

  1. Kersten Lahl

    @ Richard Rohde
    Ja, man lernt (leider) nie aus. Im Rückblick bestätigt sich wohl eine nicht ganz unbekannte Lehre: Autokratische Systeme sind Entspannungsbemühungen gegenüber meist nur wenig aufgeschlossen. Sie interpretieren diese oft eher als Schwäche und bestärken damit im Endeffekt die eigene Position. Diplomatische Bemühungen stoßen eben dort an ihre Grenzen, wo eine gewisse Naivität beginnt. Dennoch mit Blick auf die aktuell so unerfreuliche Lage: Abschreckung ist nicht mit dem ersten Schuss beendet – im Gegenteil: Sie beginnt dann oft erst. Das war schon unsere Linie im Ost-West-Konflikt, und das gilt auch jetzt mit Blick auf die Ukraine und die ganze osteuropäische Region. Die Diplomatie hat dort noch lange nicht ausgedient. Sie sollte halt nüchtern und nicht weltfremd agieren.

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  2. Kersten Lahl

    @ Hanna
    Das Beispiel Tschernobyl zeigt auf unangenehm beeindruckende Weise, wie schwer es gerade autokratischen Systemen fällt, eigene Fehler einzugestehen. Und wenn dann noch eine Prise Narzissmus bei den Mächtigen dazukommt, wird die sogenannte Ratio strikt auf das verengt, was ausschließlich den eigenen Interessen im engeren Sinn zu nützen verspricht. Kollateralschäden spielen dann keinerlei Rolle mehr, nicht einmal im eigenen Land und unter der eigenen Bevölkerung. Und Fehler oder Schwächen zugeben: Das geht gar nicht. Es würde das erwünschte Selbstbild, das nicht selten dem Wunsch nach „historischer Größe“ entspricht, allzu sehr beschädigen. Auf längere Sicht ist das aber der sicherste Weg ins Abseits.

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  3. Hanna Aschbach-Last

    Es gibt eine Szene aus der großartigen, 5-teiligen HBO-Serie „Chernobyl“ über das gleichnamige Unglück: Einer der Protagonisten, der sowjetische Politiker Boris Jewdokimowitsch Schtscherbina, der die Regierungskommission zum Unglück leitet, sagt über sein Land, es sei “obsessed with not being humiliated“. Damit erklärt er auch den Umstand, dass ein deutscher Polizeiroboter zur Räumung eingesetzt worden war, aber nach wenigen Sekunden vollkommen zerstört wurde. Der Roboter war darauf ausgelegt, eine Strahlung von 3000 Röntgen auszuhalten; im Augenblick größter Not hatte die sowjetische Regierung sich zwar herabgelassen, den ‚Westen‘ um Hilfe zu bitten, dabei aber angegeben, die Strahlung in Tschernobyl betrage lediglich 2.000 Röntgen – weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Einen Super-GAU mit einer Strahlung von über 10.000 Röntgen zuzugeben, wäre eine unmögliche Demütigung gewesen. Vielleicht erklärt sich aus dieser Mentalität, verbunden mit der Geschichte, oder andersherum aus der Geschichte, die diese Mentalität hervorgebracht hat, auch das pathetische Auftreten, das archaische Gebärden und Säbelrasseln, und vor allem auch die Unwilligkeit zu Kompromissen, die ein Eingeständnis der Schwäche sein könnten. Mit einem Narzissten an der Spitze des Landes, der Stirn an Stirn mit alten Kontrahenten steht und dem gleichzeitig eine neue Supermacht im Nacken sitzt, ist sicherheitspolitisch für alle beteiligten Akteure sicherlich die größte Aufmerksamkeit geboten, die besagte Hintertür zu lassen. Aktuell öffnet sich da aber eher eine Art Scheunentor in Richtung Ukraine. Es ist Europas Aufgabe, dies zu unterbinden. Und Deutschland trägt hierfür mit Blick auf die Historie eine besondere Verantwortung.

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  4. Richard Rohde

    Nun, für Anreize und Vertrauen scheint es aktuell nicht die passende Zeit zu sein. In einigen Bereichen muss ich meine Bewertung deutlich korrigieren. Bei allem Verständnis für russische Sicherheitsinteressen: So geht es nicht! Die fast banale Argumentation vom Genozid der Ukrainer an Ukrainern bis hin zur „narzistischen“ Behauptung von Medwedew „Die Ukraine braucht doch das Donezgebiet gar nicht …“. Das ist schon sehr schwerer Tobac seitens der friedliebenden Narzisten in Russland.

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  5. Richard Rohde

    Zum RUS-UKR Konflikt ist sehr viel geschrieben, gesagt, veröffentlicht worden. Vorschlag: Fragen wir Putin einmal, wo sein Land 2045 ff stehen möchte und was seine Rohstoffe Öl/ Gas dann noch wert sein mögen, wenn sich (nicht ganz unkritisch zu sehen) modernere Wirtschaften anderen Ressourcen zugewandt haben. Bieten wir ihm nicht nur in diesem Bereich, sondern auch „testweise“ mal deutlich darüber hinaus Technologietransfer und eine Rekonstitution der russischen Wirtschaft an. Das schafft Arbeitsplätze, Wohlstand für breitere Schichten, Ruhe im Inland und langfristig Vertrauen. so ist der westen Europas nach langen, kriegerischen Jahrzehnten zusammengewachsen. Ich glaube, Anreize anstatt Sanktionen helfen auch bei Narzisten weiter.

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  6. Kersten Lahl

    @ Hanna Aschbach-Last
    Schöne und wohl nicht ganz unzutreffende Beschreibung. Irgendwie kommen einem da auch die aktuellen Verhaltensmuster des Kreml in den Sinn, wenn man Ihre Hinweise auf „Hegemonialanspruch … vonseiten einer vormals mächtigen Gruppierung, die aber an Einfluss eingebüßt hat oder diesen zumindest bedroht sieht und ihre vermeintliche Marginalisierung nun wieder wett zu machen versucht“ tiefer durchdenkt. Oder liegt man da falsch mit Blick auf die russische Führung unter Putin?

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  7. Hanna Aschbach-Last

    Das ist sehr spannend. Eine Frage in diesem Kontext wäre auch, warum unter bestimmten Umständen insbesondere derart narzisstisch veranlagte Personen in diese Positionen aufsteigen und solche Resonanz finden. Es gibt sicherlich politische und mentalitätsgeschichtliche Zusammenhänge, die Personenkult, Pathos und damit häufig auch einhergehende Faktenresistenz begünstigen. Es erscheint mir besonders dort vorzukommen, wo ein Hegemonialanspruch besteht vonseiten einer vormals mächtigen Gruppierung, die aber an Einfluss eingebüßt hat oder diesen zumindest bedroht sieht und ihre vermeintliche Marginalisierung nun wieder wett zu machen versucht. In den USA ist der Personenkult getrieben von einem weißen Mob, der den manifest destiny-Traum verinnerlicht hat. Dass dieser nicht mehr mit der Realität einer komplexen Weltpolitik und Bevölkerungsstruktur in Einklang gebracht werden kann, ruft nicht Einsicht, sondern größenwahnsinnige Trotzreaktionen in Abkehr von der faktenbasierten Vernunft hervor. Ähnliches ist in Großbritannien zu beobachten, indem hier untergegangene Kolonialphantasien anachronistische Strukturen beschwören, die ein notorischer Lügner als Segen über sein Land bringen soll. In Österreich dagegen (übrigens ja auch eine ehemalige ‚Supermacht‘, ebenso wie die Türkei) stellt die Medienlandschaft mit ihrem salonfähigen Boulevardjournalismus den idealen Nährboden für ein narzisstisches Kabinett dar.

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Über Kersten Lahl

Kersten Lahl (* 6. Juli 1948 in Bielatal) ist Generalleutnant a.D. des Heeres bei der Bundeswehr und war nach seiner Pensionierung von 2008 bis 2011 Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Während seiner Zeit bei der Bundeswehr war Kersten Lahl von 1991 bis 1994 Adjutant und militärpolitischer Berater des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Seit 2012 ist er Vizepräsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und publiziert zu verschiedenen sicherheitspolitischen Themen.

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