Weg aus der Krise

Sind Kompromisse möglich?

Die stellvertretende Außenministerin Wendy Sherman, NATO-General-Sekretär Jens Stoltenberg, die stellvertretenden russischen Außenminister Alexander Grushko und Alexander Fomin. 

Die gegenwärtige Diskussion über die USA- Russland Gespräche, den NATO-Russland Dialog und die Debatte in der OSZE der vergangenen Woche nach russischem Säbelrasseln östlich der russisch – ukrainischen Grenze werden unterschiedlich bewertet und kontrovers diskutiert.

Um Lösungen im Konflikt zu finden, sollten die Diskussionen, bei aller berechtigten Empörung, entemotionalisiert werden. Es ist wenig hilfreich, wenn diskreditierende Antagonismen zwischen „ewig gestrigen kalten Kriegern“ und „naiven Appeasement Befürwortern“ aufgebaut werden.

Kehren wir doch einfach einmal zu einem realpolitischen Diskussionsansatz zurück:

Für NATO-Mitgliedstaaten stehen weder Art 10 des NATO-Vertrags noch die Charta von Paris zur Disposition. Russland hingegen fordert genau dies: einen rechtlich verbindlichen Vertrag, der einer weiteren Ausdehnung der NATO eine Absage erteilt. Kann dieser Gegensatz überwunden werden? 

Werfen wir einen Blick in die Militärstrategie der Russischen Föderation vom 24.12.2014. Hierin wird deutlich, worum es Russland in seiner Bedrohungsperzeption geht: Als militärische Gefahren werden der »Ausbau des Kräftepotentials« der Atlantischen Allianz, das „Heranrücken militärischer Infrastruktur“ an die russische Grenze sowie die „Dislozierung militärischer Kontingente ausländischer Staaten“ in den Nachbarstaaten Russlands bezeichnet; als militärische Bedrohung u.a. die „Demonstration militärischer Stärke“ durch Übungen in der Nachbarschaft Russlands.

Nehmen wir diese Aussagen und damit die Bedrohungsperzeption Russlands ernst, auch wenn sie aus westlicher Sicht unbegründet erscheint, dann eröffnen sich doch diplomatische Kompromissmöglichkeiten, ohne grundsätzliche Positionen aufgeben zu müssen. 

Nachdenken könnte man z.B. über eine dem 2+4 Vertrag nachempfundene Lösung.  In Art.5 (3) letzter Satz dieses Vertrages finden wir: „Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.“ Eine solche vertragliche Regelung hat dazu beigetragen, die NATO-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands zu ermöglichen, aber keinerlei negativen Einfluss auf unsere Sicherheit gehabt. Könnte dies nicht als Grundlage für zukünftige mögliche Beitrittskandidaten formuliert werden und könnten nicht wir, mit unseren positiven Sicherheitserfahrungen, dafür werben? Dies würde die Bedrohungsperzeption Russlands reflektieren, ohne grundsätzliche Abstriche an unserer Position zu machen. Artikel 5 des NATO-Vertrages, „dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird“ würde auch unter diesen Rahmenbedingungen möglichen zukünftigen Mitgliedern die notwenige Sicherheit bieten. Gleiches könnte und müsste man aber auch von Russland hinsichtlich der Stationierung russischer Truppen in Belarus fordern! Ebenso könnten wir z.B. auf Großübungen in, an die russische Föderation angrenzende Länder verzichten und Gleiches von Russland in einem entsprechenden Streifen an der russischen Westgrenze und der NATO-Ostgrenze fordern. Nur zur Erinnerung, die erste Großübung der NATO Response Force fand 2006 auf den Kapverden statt.

In all diesen Fragen ist diplomatisches Geschick gefordert. Eine Diskussion über Kompromisse sollte nicht durch öffentliche politische Rhetorik belastet werden. Lösungen können nur im offenen, aber nicht öffentlichen Dialog gefunden werden, der aber auch betroffene Staaten, wie Ukraine, mit einbeziehen muss.

Reiner Schwalb (* 23. Februar 1954 in Gießen) ist Brigadegeneral der Bundeswehr a.D. und ehemaliger Verteidigungsattaché an der Deutschen Botschaft Moskau in Russland (2011-2018). Im Rahmen seiner Offiziersausbildung bei der Bundeswehr studierte Reiner Schwalb zunächst Bauingenieurwesen und später Politikwissenschaften in Washington D.C. Bei der Bundeswehr war in verschiedenen Funktionen tätig, u.a. als Leiter des Taktikzentrums des Heeres und als Verbindungsoffizier für die NATO. Seit 2021 ist er zudem Vizepräsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und publiziert zu verschiedenen sicherheitspolitischen Themen.

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4 Kommentare

  1. Reiner Schwalb

    @Kersten Lahl: Aus meiner Sicht würde es zur Entspannung der jetzigen Lage beitragen. Die Dislozierung der zusätzlichen ca. 25Tsd Soldaten in Richtung UKR in Verbindung mit den unannehmbaren Vorschlägen Russlands macht nach meiner Bewertung deutlich, was der Kreml will: Verhandelt mit uns ernsthaft (NATO und US) wendet Euch nicht vom Maßnahmenpaket von Minsk ab (UKR). RUS möchte möchte militärpolitisch vermeiden, dass NATO sich bedroht fühlt, sonst hätte man auch die Truppen im Leningrader Bezirk, im Kaliningrader Bezirk und bei Murmansk verstärkt. Wäre der gemachte Vorschlag für den Kreml akzeptabel? Das kann ich nicht beantworten. Aus der RUS Thinktank community gibt es positive Signale dazu. Einen diplomatischen Versuch wäre es wert.

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  2. Reiner Schwalb

    @Rudolf Horsch: Es würde eine Mitgliedschaft der Ukraine ermöglichen. Die vertragliche Festlegung im 2+4 Vertrag ermöglichte die Mitgliedschaft des Wiedervereinigten Deutschland. Also beeinträchtigt ein solcher Vorschlag nicht die mögliche Mitgliedschaft von UKR oder FIN oder GEO.
    @Kersten Lahl: Ja Man könnte es als Lightversion titulieren. Allerdings hätte dies kein Sicherheitsnachteil für mögliche Neumitglieder, da Art 5 des NATO Vertrages unverändert gilt.

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  3. Rudolf Horsch

    Wenn ich es richtig sehe, wäre das ein Vertrag zu Lasten Dritter, also zu Lasten der Ukraine und würde bedeuten, dass eine Mitgliedschaft der Ukraine ausgeschlossen wäre. Dies würde das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine deutlich schmälern. Wenn mit einer solchen Lösung aber eine militärische Auseinandersetzung vermieden werden könnte, wäre dies überlegenswert.

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  4. Kersten Lahl

    Kurze Nachfrage dazu: Der Vorschlag würde ja im Kern darauf hinauslaufen, dass Russland jede weitere Ost-Erweiterung der Nato vertraglich mitträgt – wenn auch sozusagen „nur“ in einer light-Version. Und zugleich dürfte Russland auf dem Gebiet seiner eigenen OVKS-Partner keine Truppen stationieren. Sehe ich das richtig? Und wie realistisch ist ein solcher Ansatz? Würde er also wirklich zu einer Entspannung der aktuellen Lage beitragen können?

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Reiner Schwalb (* 23. Februar 1954 in Gießen) ist Brigadegeneral der Bundeswehr a.D. und ehemaliger Verteidigungsattaché an der Deutschen Botschaft Moskau in Russland (2011-2018). Im Rahmen seiner Offiziersausbildung bei der Bundeswehr studierte Reiner Schwalb zunächst Bauingenieurwesen und später Politikwissenschaften in Washington D.C. Bei der Bundeswehr war in verschiedenen Funktionen tätig, u.a. als Leiter des Taktikzentrums des Heeres und als Verbindungsoffizier für die NATO. Seit 2021 ist er zudem Vizepräsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und publiziert zu verschiedenen sicherheitspolitischen Themen.

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