Wir können der Ukraine mehr Waffen geben

Die deutsche Linie in der Waffenhilfe für die Ukraine wird zunehmend unhaltbar. Wenn es wollte, könnte Deutschland weitere Waffen an die Ukraine liefern. Die Industrie ist in Besitz intakter Systeme, die sofort lieferfähig wären. Was fehlt ist die Genehmigung der Bundesregierung.

Was für ein „Ringtausch“! Deutschland schenkt Griechenland 40 alte Marder-Schützenpanzer, die in der Bundeswehr inzwischen überwiegend durch moderne Puma-Schützenpanzer ersetzt sind. Dafür schenkt Griechenland der Ukraine 40 alte BMP-1-Schützenpanzer (die Deutschland vor Jahrzehnten den Griechen überlassen hat), weil der Marder natürlich besser ist als der BMP 1 aus NVA-Beständen.

Preisfrage: Wenn man sich gegen die real existierende russische Armee mit schwach gepanzerten, ausgemusterten sowjetischen Gefechtsfahrzeugen erfolgreich verteidigen kann, wozu gibt Deutschland dann selbst viele Milliarden Euro für neue High-Tech-Schützenpanzer aus? Ist Russlands Armee, die in Europa der Nato feindselig gegenübersteht, etwa eine andere als die, die in die Ukraine einmarschiert ist? Oder kämpfen die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten so viel besser als wir es unseren eigenen zutrauen, so dass es eigentlich egal ist, mit welchen Waffen die Ukrainer antreten?

Erst hiess es, der Krieg sei sowieso schnell vorbei (deshalb als Soli-Geste mal eben 5000 Helme). Dann: Mit westlichem Gerät können die Ukrainer gar nicht umgehen. Dann: Wir dürfen durch die Lieferung schwerer Waffen den Krieg nicht „eskalieren“, weil Putin sonst Atomwaffen einsetzt. Gestern: Wir haben schon alles abgegeben was verantwortbar ist, ohne selbst verteidigungsunfähig zu werden. Heute: Mehr geht aber wirklich nicht. Soll morgen die Devise lauten: Tut uns echt leid – und viel Erfolg auch?

Deutschlands Militärpotenzial gehört wie die Streitkräfte der USA, Grossbritanniens, Kanadas und Polens unhintergehbar zum „Arsenal der Demokratie“, das helfen muss, den Vernichtungsfeldzug des Kreml-Diktators zurückzuschlagen. Wenn Putin sich durchsetzte, in was für einer Welt würden wir dann leben?

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat die Bündnismitglieder aufgerufen, mehr militärisches Gerät an Kiew abzugeben, auch wenn das eine Vergrößerung der Lücken in den eigenen Strukturen bedeutet. First things first! Denn alles russische Kriegsgerät, das jetzt auf den Schlachtfeldern der Ukraine abgenutzt und aufgerieben wird, steht der Nato in Zukunft auch nicht mehr gegenüber. Die Freunde der Ukraine können geben, ohne dass ihr eigenes Risiko steigt.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die selbst einmal Verteidigungsministerin war, fordert Deutschland ausdrücklich dazu auf, mehr zu tun. Wenn die Ukraine nun Kampf- und Schützenpanzer erbitte, sollten wir liefern, sagt sie.

Selbst Leopard 1 aus Industriebeständen wären allemal besser als nichts.

Von den 40 hochpräzisen deutschen Mars-2-Raketenwerfern erst drei und jetzt noch einmal zwei abzugeben, ist hilfreich, aber gewiss noch nicht das Ende der Fahnenstange. Auch 10 oder 20 sollten möglich sein. Die Bundeswehr muss ohnehin für ihre neue Struktur zusätzliche Systeme nachbestellen.

Nur 10 (ursprünglich hieß es 7 plus 5) Stück von den 120 deutschen Panzerhaubitzen 2000 abzugeben, ist wenig. Es könnten 20 oder 30 sein. Auch hier sind bereits Nachbestellungen für das Heer geplant. Und bei Instandsetzungsbedarf einzelner Haubitzen könnte sofort eine funktionsfähige nachgeschoben werden, wenn man das will. Das Argument, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr würde leiden, hat übrigens in all den Jahren seit 2014, als wegen überlanger Wartungszeiten manchmal weniger als 50 Prozent des Buchbestandes den Artillerieverbänden zur Verfügung stand, politisch kaum jemanden interessiert.

Gleichzeitig muss allerdings die Munitionsproduktion im ganzen Westen deutlich hochgefahren werden. Hier kann die Industrie durchaus in Vorleistung gehen. Denn was nach Kriegsende die Ukraine nicht braucht, wird mit Sicherheit zur Auffüllung der leeren Depots in den meisten Bündnisarmeen gebraucht. Von Vorräten für 1 bis 2 Kampftage aus den glücklichen Zeiten vor 2014 soll nach Nato-Vorgaben der Bestand auf mindestens 30 Tage aufgestockt werden (im Kalten Krieg waren es 60 Tage). Die Bundeswehr rechnet für den eigenen Bedarf mit Kosten von 20 Milliarden Euro für die Munitionsergänzung und -modernisierung.

Was Leopard-2-Kampfpanzer aus deutschen Heeresbeständen angeht, ist tatsächlich im Moment kaum etwas zu holen. Von 4600 Kampfpanzern Leopard 1 und Leopard 2 in den Kalten-Kriegs-Zeiten vor 1990 sind gerade einmal 225 Leo 2 übrig geblieben. Sie sollen jetzt auf 325 aufgestockt werden. Gleichzeitig steht allerdings bald die Hälfte der Bestandspanzer zur Kampfwertsteigerung bei der Industrie. Die zur Zeit besonders betroffene 1. Panzerdivision in Oldenburg spricht von einer temporären „Panzerlücke“. Da hinein ist schlecht Gerät abgeben.

Aber wenn die Industrie selbst noch ältere intakte Systeme auf dem Hof stehen hat, und sei es der Leo 1: Das wäre, wenn die Bundesregierung die Genehmigung gibt, sofort lieferfähig. Washington hätte sicher nichts einzuwenden – im Gegenteil, die letzten Signale klingen wie eine Ermutigung, selbst Verantwortung für eine neue Qualität der Hilfe zu übernehmen.

Marder gibt es ausnahmsweise mehr als für die vollständige Befüllung unserer Panzergrenadierbataillone rechnerisch notwendig sind. Denn das Heer hatte wegen der vielen Kinderkrankheiten des neuen Puma sicherheitshalber erst einmal viele Altsysteme behalten. Außerdem bietet die Industrie länger schon 100 gefechtsbereit gemachte Schützenpanzer an.

Ein starkes deutsches Paket aus zusätzlicher Rohr- und Raketenartillerie und einer dreistelligen Zahl Marder würde Deutschlands Standing in dieser Zeit der existenziellen Ukraine-Hilfe nachhaltig steigern. Man muss es wollen. Möglich wäre es.

Dr. Hans-Peter Bartels (* 7. Mai 1961 in Düsseldorf) gehörte von 1998 bis 2015 dem Deutschen Bundestag als direkt gewählter Abgeordneter (SPD) an. Von 2015 bis 2020 war er Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages und setzte sich in seiner Amtszeit intensiv für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr ein. Seit Mai 2022 ist er Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V.

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1 Kommentar

  1. Jörg Schultze

    Sie haben Recht; nur entschlossenes Handeln – auch Deutschlands, hilft den mutigen Ukrainern ihr Land zu verteidigen und Despoten wie Putin und Lawrow abzuschrecken. Früher haben wir unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt, jetz sollten wir unsere Freiheit durch die Ukrainer mit Marder und Leo 1 am Donbass verteidigen lassen.

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Dr. Hans-Peter Bartels (* 7. Mai 1961 in Düsseldorf) gehörte von 1998 bis 2015 dem Deutschen Bundestag als direkt gewählter Abgeordneter (SPD) an. Von 2015 bis 2020 war er Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages und setzte sich in seiner Amtszeit intensiv für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr ein. Seit Mai 2022 ist er Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V.

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